Lechwehr

Liberation Concert: Here we are, Landsberg!

Was unternimmt man, wenn man Terror, Hass und Gewalt gerade erst überstanden hat, die gesamte Existenz auf das blanke Leben reduziert und die Zukunft mehr als ungewiss ist? Am 27. Mai 1945 gab es für acht überlebende Musiker der Schoa auf diese Frage nur eine Antwort: ein Konzert! Sie nannten es Befreiungskonzert, Liberation Concert. An dieses Ereignis und ihr weiteres Schicksal als selbstbestimmte, freie Menschen knüpft 77 Jahre später die Festwoche Liberation Concert 2022: Here we are, Landsberg! vom 21. bis 28. Mai in Landsberg an.

Die Geschichte dieses außergewöhnlichen Orchesters begann mit dem Liberation Concert auf dem Gelände des jüdischen DP-Hospitals St. Ottilien. Bald schon mussten die Musiker wie 200.000 Überlebende im von den Amerikanern besetzten Bayern feststellen, dass sie kein Land der Welt aufnehmen wollte. Bis sich die weltweit restriktive Einwanderungspolitik Juden gegenüber änderte, waren sie gezwungen, im Land der Täter auf ihre Auswanderung zu warten. Das Orchester, das sich im Laufe seiner Geschichte verschiedene Namen gab, zog von DP-Lager zu DP-Lager, wo es Hunderte Konzerte vor Zehntausenden von Zuhörern gab. Jedes Konzert war ein Befreiungskonzert: Here we are! Das sind wir!

Am Ende seines wechselvollen Daseins wurde das DP-Orchester am 10. Mai 1948 als „Representanc Orkester fun Szeerit Hapleitah“, der gerettete Rest, von dem amerikanischen Dirigenten Leonard Bernstein in den DP-Lagern Landsberg und Feldafing dirigiert. Vier Tage darauf wurde der Staat Israel ausgerufen. Das Orchester löste sich zunehmend auf und die Musiker wanderten nach Israel, Amerika, Kanada und Australien aus. 70 Jahre später kamen im Mai 2018 erstmals überlebende Musiker sowie deren Nachfahren aus aller Welt im Stadttheater Landsberg zusammen, um des Leonard-Bernstein-Konzertes zu gedenken. Ihr Wunsch, in der Universalsprache der Musik sich auf gemeinsame Wege des Gedenkens zu begeben und neue Wege des Erinnerns zu entwickeln, wird mit der Festwoche in einem weiteren Schritt verwirklicht. Sie ist Teil einer Wissens-und Werteinitiative, die aus mehreren Modulen besteht. Zu ihnen gehören die von der Journalistin Karla Schönebeck kuratierte Ausstellung „Liberation-Concert. Menschlichkeit. Würde. Hoffnung.“ (vom 21. Mai bis 19. Juni in der Säulenhalle Landsberg), Konzertprogramme des DP-Orchesters von 1945 - 1950 mit Klangbeispielen und die Video-Dokumentation des Liberation Concerts 2022 im Stadttheater Landsberg, die Schulen in ganz Bayern im Rahmen des Wertebündnis-Projektes anschließend für eigene Konzerte und Veranstaltungen abrufen können. In Bayern gab es nach dem Zweiten Weltkrieg rund 200 DP-Lager, jüdische Gemeinden und Kibbuzim.

Wie im Mai 2018 sind die Mitwirkenden das Landsberger Jugendkammerorchester unter Leitung von Birgit Abe, die Bayerische Philharmonie mit Vokal- und Instrumentalensemble unter Mark Mast und der israelische Pianist Guy Mintus, der vom 23. bis 25. Mai zudem einen dreitägigen Workshop gibt. Eröffnet wird das Konzert am 27. Mai 2022 im Stadttheater Landsberg mit zwei Klaviersoli der 14-jährigen Landsbergerin Leni Wasser. Das Programm endet mit einer Uraufführung, der Neukomposition eines 1944 im KZ-Klooga, Estland, entstandenen Liedes: Lomir schvaygn. Aus ihm wird nunmehr mit deutschem Text „Nie mehr schweigen“, eine Auftragskomposition der Bayerischen Philharmonie, München. Der Nürnberger Komponist und Pianist Jo Barnikel hat sie eigens für Jugend- und Schulensemble komponiert und wird sie selbst in Landsberg am Flügel interpretieren. Die Festwoche steht unter der Schirmherrschaft von Doris Baumgartl, Oberbürgermeisterin der Stadt Landsberg am Lech, Dr. Ludwig Spaenle, Antisemitismusbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung sowie Prof. Dr. Robert L. Hilliard, USA, dem letzten Zeitzeugen des Originalkonzertes vom 27. Mai 1945, der auch nach Landsberg kommen wird.

Die einzelnen Module der Festwoche sind Bestandteil des bis 2023 laufenden Wertebündnis-Projektes „Liberation Concert in Bayern“. Federführender Projektträger ist dabei die Bayerische Philharmonie mit den Projektpartnern Bayerische Landeszentrale für neue Medien, Bayerischer Musikrat, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe, Stiftung Bayerischer Gedenkstätten, Global Dignity Germany, JFF – Institut für Medienpädagogik, Landesverband Bayerischer Realschulen, Kester-Haeusler-Stiftung sowie der Förderverein Liberation Concert e. V. Landsberg als Kooperationspartner.

Das Liberation Concert findet im Rahmen der Kreiskulturtage statt.

Weitere Informationen: www.liberation-concert.org, www.landsberg.de, www.kulturinlandsberg.de, www.wertebuendnis-bayern.de, www.bayerische-philharmonie.de, www.musikschule-landsberg.de